Karsten Bilgenroth

Karsten Bilgenroth - ehemaliger Bausoldat (E-Mailadresse Nr. 383)

Musterung: Auf die Frage, in welcher Waffengattung ich dienen wolle, wies ich daraufhin, dass ich bereits vor Längerem dem Wehrkreiskommando mitgeteilt hatte, dass ich den Dienst an der Waffe verweigere. Da ein solches Schreiben nicht vorläge, wurde ich in einen winzigen Raum geführt, mir wurde Papier und Stift gegeben und ich sollte meinen Antrag noch einmal niederschreiben. Nach ca. einer Stunde wurde das Schriftstück dann abgeholt und nach ca. 30 Minuten betrat ein Mann in Zivil den Raum, der in dem anschließenden Gespräch mehrfach auf Unterschiede zwischen beiden Schreiben hinwies und dessen Argumentation in der Aussage gipfelte, dass viele Christen ihrem Staat treu dienen und in der NVA auch in hohen Offiziersrängen dienen. Da ich mich nicht von meiner Position abbringen ließ, verließ er den Raum und nach geraumer Zeit betrat ein Offizier (Hauptmann?) den Raum, der sich als Mitglied der „Kirche der Heiligen der letzten Tage (Mormonen)“ vorstellte, auf seinen Dienst am „antifaschistischen Schutzwall“ verwies und versuchte mir anhand der Bibel klarzumachen, dass der Dienst fürs sozialistische Vaterland Christenpflicht sei. Das Gespräch endete mit dem Hinweis, dass ich mich darauf einrichten könne, erst mit 26 eingezogen zu werden und dass ich mir beruflich jegliche Chance verbaut hätte.

Einberufung: Einberufen wurde ich dann doch „schon“ mit 23 Jahren, da ich am 1. September 1986 ein Theologiestudium begonnen hatte.
Von der Ankunft in Prora ist mir nur noch bewusst, dass, als wir in das Objekt hineingingen, aus einem der Fenster (Toilette oder Waschraum) auf Blasintrumenten gespielte Choräle erklangen.

Gelöbnis: Als das Gelöbnis gesprochen werden sollte, schwiegen tatsächliche alle Bausoldaten. Aschendorff (?) verließ die Turnhalle, nachdem er den Kompaniechefs deutlich gemacht hatte, dass sie uns zum Gehorsam bringen (zwingen) sollten. Nach der Drohung durch Porath, dass die wartenden Angehörigen wieder nach Hause fahren würden, ohne uns gesehen zu haben, wenn uns weiter schweigen würden, hat zumindest ein Teil der Bausoldaten das Gelöbnis nachgesprochen.
In meiner Erinnerung gelang es aber erst im dritten Anlauf, das Schweigen zu brechen.

Winter 1986: Mit unzureichendem Werkzeug und zu Beginn auch ohne warme Getränke sollten wir ein für den Betrieb des Fährhafens notwendiges Gleis freischaufeln. Dass uns keine warmen Getränke zur Verfügung gestellt wurden, begründete ein Mitarbeiter des Hafens, der uns den Arbeitsabschnitt zuteilte, damit, dass Typen wie wir keinen Anspruch auf Vergünstigungen hätten und es um uns sowieso nicht schade wäre.
Am Ende entpuppte sich das Gleis, an den wir geschuftet hatten, als ein „totes Gleis“. Porath soll getobt haben, dass man ‚seine‘ Bausoldaten so sinnlos eingesetzt hat.

Vorgesetzte: In einem Gespräch, wie es zB mit Henke hin und wieder möglich war, äußerte dieser, dass er im Falle eines Angriffs auf die DDR zuerst uns Bausoldaten erschießen würde, damit wir nicht mit dem Feind kollaborieren und den richtigen Soldaten in den Rücken fallen könnten.
Ein (kleiner) Unteroffizier versuchte jeden Abend den Raum zu finden, in dem wir uns zur Gebetsgemeinschaft trafen. Meist saßen wir in einer der Kofferkammern zwischen stinkenden Arbeitsklamotten.
Auf den Hinweis, dass es doch verfassungsmäßige Rechte – u.a. auf Religionsausübung – gäbe, wurde gesagt, dass Teile der Verfassung für uns während der Zeit des Wehrdienstes nicht gelten würden.
Nach meiner Erinnerung „spielten“ Porath und Nehrdich „böser Cop / guter Cop“, d.h. Nehrdich gab sich eher als der freundlichen, verständnisvolle Vorgesetzte. Letztlich aber war er nicht besser oder schlechter als der Rest der Vorgesetzten mit höherem Offiziersrang.
Die meisten von denen hätte wohl problemlos auch im vorhergehenden Regime die Befehle ausgeführt.

Verhältnis untereinander: Nur ein Teil der Bausoldaten hatte den Waffendienst aus christlich-pazifistischen Motiven abgelehnt. Etliche hatte wohl einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt. Gerade aber diese „Spatis“ habe ich als diejenigen in Erinnerung, die ein besonders gutes Verhältnis zu den Unteroffizieren pflegten und auch Vergünstigungen (zB bei der Genehmigung von Ausgang oder bei der „Härte“ von Bestrafungen oder bei der Zuteilung von besseren Arbeitseinsätzen (außerhalb von Mukran)) erhielten.
Ein Teil der Bausoldaten zelebrierte dann auch im 3. Diensthalbjahr eine (abgeschwächte) EK-Bewegung gegenüber den neu Eingezogenen.

Kirchentag 1987 in Berlin: Durch die relativ geringe Entfernung nach Berlin ergab sich die Möglichkeit, am Kirchentag teilzunehmen. Der beantragte VKU wurde auch genehmigt. Allerdings wurde ich ins Dienstzimmer von Porath gerufen und mir wurde von ihm (oder Nehrdich) mitgeteilt, dass die Teilnahme an Kirchentagsveranstaltungen in der Bausoldatenuniform nicht gestattet sei. Mein daraufhin gestellter Antrag auf Tragen von Zivilkleidung wurde abgelehnt.

Gottesdienste: Je nach zuständigem Vorgesetzten wurde der sonntägliche Ausgangs„appell“ solange hinausgezögert – durch Wartenlassen oder weil die Ausgangsuniform angeblich nicht in Ordnung war -, dass der Gottesdienstbesuch selten möglich war.
Die auf den Zimmern organisierten ökumenischen Gottesdienste liefen immer wieder Gefahr, durch Vorgesetzte entdeckt und die Teilnehmer bestraft zu werden. Ein Unteroffizier tat sich dabei durch besonderen Eifer hervor.
Als verbotene Bibelstunde galt bereits das Lesen in der Bibel, während ein anderer Bausoldat am gleichen Tisch saß.
Eine Eingabe auf die Möglichkeit des Gottesdienstausgangs entsprechend der Regelung für die Siebenten Tags-Adventisten wurde wohl von Kessler an Kommandeur Aschendorff zurückgeleitet. Die Eingabeschreiber mussten dann bei Aschendorff vorstellig werden. Wer von den anderen Offizieren anwesend war, weiß ich nicht mehr. Zumindest Porath war es. Aschendorff deutete an, dass das wohl eine Möglichkeit sein könnte. Daraufhin sprach Porath zwei Punkte an: 1) es sei in den Dienstvorschriften nicht vorgesehen; 2) es ließe sich – anders als bei den STA – nicht prüfen, wer wirklich zum Gottesdienst gehen würde. Damit war das Thema erledigt. Ich erinnere mich, dass ein wunderbarer Regenbogen über der Ostsee erstrahlte, als wir wieder auf unsere Zimmer kamen – ein kleines Hoffnungszeichen inmitten der Proraer Hoffnungslosigkeit.

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