Uwe Glänzel

Uwe Glänzel, 2. Bkp. 1986/II - 1988/I - ehemaliger Bausoldat

Prora

Durch meine christliche Erziehung war ich schon in meiner Jugend gegen Waffengewalt.
Weil ich für eine vollkommene Ablehnung des Wehrdienstes mit allen seinen Konsequenzen nicht genug Mumm hatte, entschloss ich mich, wenigstens den Dienst an der Waffe zu verweigern.
Da ich sportlich aktiv war, fiel mir die 2-wöchige Grundausbildung nicht schwer. Mehr Probleme bereitete mir das befohlene "Gelöbnis". Schon kurz davor bemerkten wir die Nervosität der Vorgesetzten. Das Ereignis spielte sich in der Turnhalle und nicht in der Öffentlichkeit ab, um jeden erwarteten Eklat nicht nach außen dringen zu lassen.
Der Witz an dieser ernsten Sache war, dass in der ersten Reihe schon vereidigte Unteroffiziere standen, die das Bausoldaten-Gelöbnis mit sprachen. Von den Bausoldaten ertönte nur ein leises Gemurmel, wovon nur weniges dem Original-Text entsprach.
Ich und meine Nebenmänner z.B. sagten leise das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auf.
Nach der Grundausbildung gab es schon unerwartet Kurzurlaub, natürlich nicht sozial ausgewogen. Ich durfte nach Hause, obwohl ich nur 1 Kind hatte, ein Zimmerkamerad ("Paps") mit 3 Kindern dagegen nicht. Sogar Singles ließ man fahren - Ungerechtigkeit mit System!

Nun einige Episoden von der Baustelle Mukran.
Durch die Einberufung im Herbst bekamen wir sofort die schweren Bedingungen zu spüren, die ein Winter an der Küste mit sich bringt. Sturm und Kälte, Schachtarbeiten in gefrorenem Boden und die Antreiberei des zivilen Baustellenbeauftragten - Spitzname "Leuchtboje" (wegen seines orangefarbenen Helms) - da konnte einem schon die Lust zum Arbeiten vergehen.
Ganz hart wurde es, als zum Jahresende ein Schneesturm Rügen komplett lahmlegte. Wir Bausoldaten mussten mit ran, um den eingeschneiten Rangierbahnhof der Fähren freizumachen.
Die Offiziere hatten sich sogar dazu durchgerungen, auf die übliche Kleiderordnung zu verzichten. Wir durften so viel anziehen, wie wir es für erforderlich hielten. Nachdem die Schnee-Katastrophe gebannt war, kam ganz schnell wieder der alte Befehlston zum Vorschein.
Im Sommer hatte ich das große Glück, einer Dachdecker-Firma zugeteilt zu werden. Ich bekam einen Blaumann, damit ich unsere "schöne" Uniform nicht mit Teer beschmutze und fühlte mich fast wie ein Zivilist. Außerdem bekam ich von den Dachdeckern Anerkennung für meine geleistete Arbeit und kollegiale Behandlung.
Im letzten Winter musste ich wieder mit Hacke und Schaufel los. Als wir auf der verschneiten Baustelle Betondeckel auf Kabelgräben legen mussten, übersah ich einen zugeschneiten Graben.
Der Deckel in meinen Händen fiel mir bei meinem Sturz auf den kleinen Finger der linken Hand.
Trotz Handschuh hatte ich eine tiefe Fleischwunde, die Hälfte der Fingerkuppe hing nach unten.
Im Krankenhaus in Bergen war eine sehr "fürsorgliche" Ärztin, die der Meinung war, Bausoldaten sind harte Burschen. Mit den Worten "Eine Betäubungsspritze macht den Finger nur unnötig dick" nähte sie mir die Kuppe ohne Betäubung wieder an. Die Narbe erinnert mich bis heute an meine Zeit als Bausoldat.

Nun zu meinen Kameraden. Das erste Jahr war ich in einem Zimmer mit netten Leuten: Paps, Kantus, BB (Bausoldat Baumann), Daniel Bilz und unser Künstler ...Döring.
Wir halfen uns gegenseitig, spielten Karten und kochten sogar heimlich in unserem Zimmer mit einer illegalen Kochplatte.
Für mich selbst hatte ich eine Lücke im System entdeckt. Die Turnhalle wurde kaum von den Offizieren besucht, und so begann ich mit Kraftsport, der meine Freizeit sinnvoll ausfüllte und mich die Strapazen der Baustelle leichter ertragen ließ.
Auch die Wochenenden in der Kaserne waren für mich größtenteils erträglich, von der Sehnsucht nach meiner Familie mal abgesehen.
Wir hielten illegale Gottesdienste ab, spielten Karten oder Schach.
Im letzten Halbjahr vor der Entlassung wurde die Zimmeraufteilung auf Befehl komplett durcheinander gewürfelt. Diesmal hatte ich Pech und kam in ein Zimmer mit überwiegend Rauchern. Wenn die dann noch rücksichtslos sind, sorgt das auf so engem Raum schon für Stress.
Zum Glück rückte die Entlassung immer näher.
Was mir in diesem Zusammenhang nicht aus dem Kopf geht, ist der Selbstmord eines Bausoldaten aus einer anderen Kompanie unmittelbar vor seiner Entlassung im Herbst 1987. Er hatte kurz vorher erfahren, dass seine Frau einen anderen liebt und er nicht nach Hause kommen braucht... In seiner Verzweiflung stürzte er sich aus dem oberen Stockwerk in die Tiefe.

Den Tag meiner eigenen Entlassung werde ich auch nie vergessen. Auf dem NVA-LKW, der uns zum Bahnhof brachte, sangen wir "Nun danket alle Gott", was uns normalerweise auf der Fahrt zur Baustelle in den Arrest gebracht hätte. Insgesamt muss ich sagen, dass der Staat durch Prora in mir ein Gemeinschaftsgefühl verstärkt hat, das mir am 09. Oktober '89 den Mut gab, nach Leipzig zu fahren und bei der ersten großen Demo gegen unsere Unterdrücker dabei zu sein.
Dort hatte ich das erste Mal ein Gefühl von Macht nach 18 Monaten der Ohnmacht und des Eingesperrt-Seins .

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